Hat der ÖIF Angst vor Deutschlehrenden? – Stellungnahme der IG

Am 20.10.17 organisierte der Österreichische Integrationsfonds ein so genanntes Wertesymposium. Vor dem Gebäude organisierte die IG DaZDaFBasisbildung eine Kundgebung um gegen die inhaltliche Einflussnahme des ÖIF auf den Deutschunterricht öffentlich Stellung zu beziehen. Darüber hinaus ging es für die protestierenden Deutschlehrenden um eine Kritik am Versuch des ÖIF, sich eine Deutungshoheit darüber anzueignen, was denn überhaupt sog. “österreichische Werte” seien, denen sich hier lebende Menschen zu unterwerfen hätten.
Auf dem “Wertesymposium” selbst wurde eine kritische Auseinandersetzung mit Inhalten und Format der Veranstaltung strikt unterbunden. Fragen und Anmerkungen aus dem Publikum wurden nicht zugelassen. Sich dennoch kritisch zu Wort meldende Kolleginnen wurden des Raumes verwiesen und die Polizei wurde herbeigerufen, wodurch der Ablauf des Symposiums für ca. 45 Minuten verzögert wurde.
Vom Veranstalter gerufen, um wieder „Ruhe und Ordnung“ herzustellen, um das als reine „Top- down“- Veranstaltung zur Weitergabe von vollendeteten Tatsachen ohne Möglichkeit zur Teilhabe der betroffenen Lehrenden angelegte Veranstaltungsformat in autoritärer Manier fortsetzen zu können.

Ein Handzeichen aus dem Publikum. Keine Reaktion. Die Hand beginnt unruhig zu werden. Wieder keine Reaktion. Nun meldete sich eine Stimme zu Wort: „Was hat Mülltrennung bitte mit der Verfassung zu tun? Können sie mir das erklären?“. Rechtsphilosoph Christian Stadler von der Uni Wien, der gerade doziert hatte, dass es ja bei den im künftigen Deutschunterricht zu vermittelnden Werten ja nur um Prinzipien der österreichischen Verfassung gehe, wurde per Zwischenruf darauf hingewiesen, dass es auch in europäischen Staaten unterschiedliche Systeme der Mülltrennung gibt und wie man daher behaupten könne, dass Mülltrennung ein einheitlicher europäischer Wert sei?
Disziplinierung – ein zentrales Anliegen des ÖIF, denn das Einhalten bestimmter Werte, in diesem Falle wohl Anstands- und Verhaltensregeln, gilt auch für lautstarke Meinungsäußerungen von Deutsch unterrichtenden Kolleg_innen. Allerdings werden wir Deutschlehrenden im Unterschied zu unseren Teilnehmer*innen bezüglich der Einhaltung dieser Werte nicht abgeprüft und laufen daher (noch nicht) Gefahr ausgebürgert zu werden. Meinungsfreiheit und Demokratie, vom ÖIF als höchstes Gut „europäischer Zivilisation“ hoch abgefeiert, gilt aber dann interessanter Weise nicht für alle, schon gar nicht für jene, die es wagen, ÖIF – kritische Äußerungen an den Tag zu legen. Soviel dazu.

Aufschlüsse darüber, auf welcher “Wertebasis” sich die selbsternannten Vermittler*innen angeblich in Österreich gesellschaftlich richtiger und anerkannter Werte bewegen, liefert u.a. ein Blick auf die Liste der geladenen Referent_innen bzw. wird durch folgendes Zitat verdeutlicht:
“Willst du morgen herrschen, musst du heute Begriffe klären. Du musst die Begriffe selbst festlegen, denn das ist die höchste Form der Herrschaft, dass du den Anderen sagst, was sie denken sollen, indem du ihnen die Begriffe definierst, die sie im Kopf haben. Das ist HERRSCHAFT DURCH WERTESYSTEME” 1 (Christian Stadler).

Darunter u.a. Dr. in Karin Kneissl, ihres Zeichens “Nahostexpertin”, auch bekannt durch ihre Auftritte bei FPÖ – Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer (https://www.youtube.com/watch?v=GqWajzJb9CQ) . Kneissl breitet sich in Interviews auf der rechtsextremen und FPÖ-nahen Medienplattform “Unzensuriert” über angebliche Terrorgefahren in Österreich aus und liefert mit Warnungen vorangeblich “unermesslichen” Zahlen künftiger Migrant_innen aus afrikanischen Ländern inhaltliche Vorlagen für rassistische Hetzartikel. Berührungsängste gegenüber einem bekanntermaßen rechtsextremen Medienformat? Fehlanzeige!
Am Symposium präsentierte sie Fotos aus der Zeit zwischen den späten 60ern und Anfang der 80er Jahre aus Afghanistan und trauerte sichtlich darum, als Europäerin heute nicht mehr mit legerem Strandkleid bekleidet durch Afghanistan radeln zu können. Dann erschien ein weiteres Foto aus dem Jahre 2015, darauf zu sehen waren verschleierte Frauen, die irgendwo in der Wüste picknickten. Kein Wort über die Zeit dazwischen. Kein Wort darüber, dass der Krieg eine Gesellschaft „in die Steinzeit“ zurückgebombt hat. Kein Wort über die imperiale
Mittäter_innenschaft. Sie scheute nicht davor zurück, sich verschwörungstheoretischer Untergangszenarien zu bedienen, als sie begann davon zu sprechen, dass „junge, gewaltbereite Männer sich auf den Weg nach Europa machen“.
Kneissl scheint neuerdings auch Sprachexpertin zu sein – ihrer Aussage zufolge gäbe es im Arabischen nämlich kein Futur. Da hat jemand im Sprachunterricht wohl nicht aufgepasst, denn im Arabischen gibt es ein Wort (sawfa/‫)سوف‬, das ausschließlich für die Bildung des Futur I sowie des Futur II verwendet wird. Dieses Wort bzw. dieser Partikel wird vor das flektierte Präsensverb gestellt und bildet in dieser Konstruktion eindeutig das Futur. Das Futur II wird mittels dieses Partikels sowie dem Hilfsverb sein und dem flektierten Präsens gebildet. Beispiele: Futur I: ‫سوف‬
‫اكتب‬ Ich werde schreiben. Futur II: ‫رأيته‬ ‫يكون‬ ‫سوف‬ Ich werde ihn gesehen haben.
Dieses vermeintlich fehlende Futur hat Kneissl dann für die wenig zukunftsorienterte, gott- und schicksalsergebene Mentalität arabischer Menschen verantwortlich gemacht. Eine den Prinzipien wissenschaftlicher Redlichkeit verpflichtete Argumentationslinie sieht anders aus.

Als erster Keynotes – Redner sprach der Rechtsphilosoph Christian Stadler von der Uni Wien. Selbst bekennt er sich nach eigenen Worten als glühender Paneuropäer. Zusätzlich noch ein Militärstratege, der nun unter Kurz in den Expert_innenrat für Integration geholt wurde. Stadler wurde als Redner zum Thema „Bedeutung der Wertevermittlung“ eingeladen. Es handelt sich um jenen Mann, der im Jahr 2011 2 im Auftrag des Integrationsstaatssekretariats zur Ausarbeitung des Themas „Rechtsstaatlichkeit und Werte“ beauftragt worden war, zu erforschen „was denn österreichische Werte seien“ 3 . Das Produkt davon war die Rot-Weiß-Rot- Fibel, die auch als Grundlage für die Veränderungen im Staatsbürgerschaftsgesetz (2013) herangezogen wurde. Der Staatsbürgerschaftstest wurde auf Basis der erstellten Fibel um verfassungsrechtliche Prinzipien ergänzt, dazu „Erläuterungen zu den jeweilig geltenden Werten“. Stadler spricht davon die Grundlagen der österreichischen Verfassung als „Wertegrundlage“ zu nehmen, obwohl die österreichische Verfassung keinen Grundwertekatalog, wie in anderen Staaten existierend, beinhaltet. Interessanterweise gibt es nicht einmal für Herkunftsösterreicher_innen ein Regelfach um diese Inhalte ausreichend zu bearbeiten. Nicht nur müssen Migrant_innen und Menschen mit Fluchterfahrung Wertekurse belegen; erwartet wird von sogenannten Drittstaatsangehörigen nun auch, im Rahmen der Integrationsvereinbarung Werteprüfungen abzulegen, die an ihren
Aufenthaltsstatus gebunden sind.

Stadler fände es nach eigenen Aussagen (Vortrag zu Polemologie an der ÖMZ (Österreichische Militärische Zeitschrift) – Strategiekonferenz) fein „wenn Europa mal den politischen Zweck äußern würde, die europäische Peripherie zu stabilisieren und den so genannten Feuergürtel, der sich um Europa aufgetan hat, abzudämpfen. (..) Wir wollen’s einfach wieder schön ruhig haben. Daher müssen wir diesen Ring befrieden.“ Weiters äußert er sich zum Begriff „Fluchtursachenbekämpfung“ folgendermaßen: „das kann alles sein, das kann auch eine große
Attacke sein – auch das ist eine Fluchtursachenbekämpfung“.

1
https://www.youtube.com/watch?v=JH1va7SgTAE (Stadler auf der ÖMZ-Strategiekonferenz), [Zugriff am
23.10.2017]

2
http://diepresse.com/home/innenpolitik/675591/Integration_Role-Models-sollen-Schueler-motivieren [Zugriff am
23.10.17
3
http://derstandard.at/1363711412017/Der-Mann-der-Zuwanderern-Oesterreichs-Werte-erklaert [Zugriff am 23.10.17]Stellungnahme der IG DaZDaFBasisbildung
Wien, 23.10.2017