Werte müssen diskutierbar bleiben
Wenn wir Zwang und Pflicht für ausgewählte Gruppen von Menschen einführen, dann handeln wir gewaltvoll und ganz im Gegensatz zur Selbstinszenierung als scheinbar starke Demokratie.
Wir, DaF/DaZ-Lehrende, sollen in Zukunft, die vom Innenministerium vorgegebenen Werte unterrichten? Staatlich verordnete Werte? Wem sie verpflichtend verordnet werden sollen, ist ja nun nicht zufällig. Zäh und schwer hält sich das koloniale Bild der rückständigen Anderen und das europäische Werte-Wir zelebriert vor dem Hintergrund dieses Bildes die eigene vermeintliche Überlegenheit und Fortschrittlichkeit. Unterdrückt und in demokratischen Fragen defizitär sind immer die Anderen, während im als aufgeklärt und zivilisiert imaginierten Westen alles in bester Ordnung sei. Ein Hort der Werte eben. Neu sind diese Herrschaftsfantasien in Bezug auf die Anderen nicht, und auch vor den geplanten Werte-Kursen, gab es wertfreies Unterrichten, neutrale Kurse und Kursinhalte/Sprache und neutrales Sprechen nicht. Die Lehrbücher waren immer schon voll von solchen Fantasien.
Was aber ist Fortschritt? Neokoloniale Ausbeutungsverhältnisse? Dass der Anteil der Frauen im österreichischen Parlament und in Leitungspositionen unsäglich niedrig ist? Dass Europa’s Grenzen hochmilitarisiert sind und dass die EU-Grenzregime für den Tod von Tausenden Menschen im Mittelmeer verantwortlich sind? Europa als Hort der Menschenrechte und der Geschlechtergerechtigkeit. Wie zynisch. Die Materialien sind voll von Repräsentationen und Narrativen, die die Teilnehmer_innen dieser Kurse oftmals auf stereotype Art und Weise ansprechen. Formen der Adressierung, die generalisierend unterstellen; dass es an Höflichkeit fehlt, (die eingeübt werden soll); dass es an Rücksichtnahme fehlt; dass Frauen belästigt werden, denn ‚Wir belästigen Frauen nicht‘ (@ Werte-, und Orientierungsteil des Buches: Linie 1, Österreich, Deutsch in Alltag und Beruf, Rubrik: Miteinander leben und arbeiten, Kapitel: Leute treffen/Im Park, 2b – Menschen im Park. Welches Verhalten ist gut? Kreuzen Sie an: Smiley oder nicht, Stuttgart 2017, V: Klett, S. 130)
Die Inhalte der Kurse und Werte-Kurse sind nicht zufällig gewählt.
Die Autor_innen und Konzeptor_innen wissen scheinbar um die (Demokratie-)Defizite der Teilnehmer_innen genau Bescheid. Verallgemeinernde Unterstellungen. Generalverdächtigungen. Generalisierende Annahmen.
Werte oder besser Haltungen sind wichtig und es gibt keinen Unterricht, der wert-frei wäre. Aber um wessen Werte geht es jetzt? Die des Innenministeriums? Als staatlicher Zwang? Und noch dazu als Instrument der Fremdenpolizei? Und abgesehen davon, die Frage nach der erwünschten Effzienz und Sinnhaftigkeit von Werte-Kursen, die davon ausgehen, dass es möglich wäre, diese Werte widerspruchlos einzutrichtern? Bildung eintrichtern und somit das eigene Wissen als absolut zu setzen und die Bedingungen der Wissensproduktion dabei völlig zu ignorieren, ist absurd. Welches Bildungsverständnis steht dahinter, wenn davon ausgegangen wird, dass es möglich wäre, diese Werte mittels eines Trichters in die Köpfe der Menschen reinzudrücken. Dieser vorgestellte Trichter ignoriert, dass Menschen aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen, Geschichten, sozialer Hintergründe, Zugehörigkeiten, Standpunkte, unterschiedliches Wissen mitbringen und hervorbringen. Bezogen allein auf das methodische Vorgehen, absurd gedacht, und das Ganze dann noch auf Deutsch. Dagegen können, in einem kritischen Bildungsverständnis, Differenzen nicht ignoriert werden1 und die Idee des ‚Trichterns‘ von absolut gesetzten eindimensionalen Wahrheiten, funktioniert nicht nur nicht, sondern muss als Belehrung von oben gelten, als Indoktrination, will ich sagen.
Teilnehmer_innen sollen überrumpelt werden und die Überrumpelung selbst scheint außerhalb der Kritik zu stehen. Die Teilnehmer_innen sollen denken, was erwünscht wird. Sie sollen die erwünschten Haltungen/Meinungen einnehmen und einüben mittels des Materials, das zur Verfügung gestellt wird. Und nicht etwa sollen kontroverse Positionen beachtet werden, was, einem kritischen Bildungsverständnis nach, wichtig wäre. Die Teilnehmer_innen werden schlichtweg als nicht-wissend, über das falsche Wissen und die falschen Werte verfügend, permanent abwertend angesprochen. In dieser Konstruktion können sie scheinbar nicht für sich selbst sprechen und müssen umerzogen und belehrt werden.
Während ich schreibe, muss ich (nicht zufällig) an autoritäre pädagogische Verhältnisse denken. Und, während ich schreibe, muss ich weiter an politische Verhältnisse denken, die autokratische Politiken hervorbringen, im Rahmen derer gesellschaftliche Verhältnisse als verwaltbar und nicht als gestaltbar, nicht als verhandelbar angesehen werden. Genauso verhält es sich in Bezug auf die Werte. Scheinbar waren sie schon immer gleich da, zu verwalten, einzutrichtern, den Teilnehmer_innen, möglichst schnell, effizient, messbar gemacht – abschließende Werte-Prüfung. Keine Zeit für Kontroverse und Widerspruch, auch nicht erwünscht. Die Messbarkeit von Bildung, nicht zuletzt in Gestalt von Kompetenzen scheint ja allgemein die Illusion unserer Zeit zu sein, verbunden mit einem sehr starken Nützlichkeits-, und Kontrolldiskurs.
DaF/DaZ-Lehrende sollen die Ausführenden einer autokratischen Politik werden.
Überzogen ist das alles nicht.
Letztlich das Aufschwingen einer Ordnung, die mehr und mehr im Strom der Verrohung und Ausbeutung aufzugehen droht und die ihren einzigen Ausweg darin sieht, nicht diese Politiken selbst grundlegend in Frage zu stellen und die Werte von Wandel- und Verhandelbarkeit als fixe Vorgaben zu positionieren, inklusiver einer Pädagogik, die Widersprüche und Kontroverse bewusst evoziert und zulässt, sondern die ihren einzigen Ausweg darin sieht, der gefühlten Bedrohung mit Abschottung/der Provokation von Ängsten/Militarisierung und dem Vorschreiben von Werten und zu erreichenden messbaren Kompetenzen zu begegnen. Auf Bedrohungsszenarien, und der Eindruck besteht als würden wir auf gesellschaftliche Verhältnisse nur noch aus der Perspektive der Bedrohung blicken, wird geantwortet, nicht mit einer Perspektive der Offenheit, Verhandelbarkeit, Vielstimmigkeit, sondern mit Zwang, Pflicht, Leistung und Überrumpelung. Mitwirkungspflicht bei Sprach- und Wertekursen, mitunter. Der Versuch, das Politische/das Ermöglichende zwischen Menschen, still zu legen. Der Versuch, das Pluralistische/das Kontroverse/die unterschiedlichen Sichtweisen und Standpunkte, still zu legen.
Die Werte der Herren im Haus, fix, einzig-richtig, naturalisiert, nicht gestaltbar, nur verwaltbar, (gott-)gegeben. Affirmation der bestehenden Ordnung und der darin imaginierten Werte. Werte, die zum Schutz (vor der Bedrohung) dieser Ordnung definiert und installiert werden –
dem Zwang zur Pflichterfüllung freigegeben. Die Rede ist von Pflichten und Rechten immer. Werte, die diese Ordnung stützen sollen, scheinbar (gott-)gegeben, verordnet und die Möglichkeit dieser bestehenden Ordnung einen stärker tiefkonservativen Schliff zu verpassen. Es ist die Möglichkeit der Herrschenden diese Ordnung nochmal als gestärkt konservative Ordnung zu fassen, hervorzubringen, zu erfinden, anzupassen und einzupassen. Neu-Erfindungen, Festigungen von rückständigen Konservativismen durch die Rede der Rückbesinnung auf scheinbar ureigene alte Traditionen, zum Schutz des bedrohten Abendlandes. Werte, die scheinbar nicht hinterfragt werden sollen, unhinterfragt bleiben sollen. Wer kritische Bildungsarbeit machen will, ist wohl nicht erwünscht.
Wer legitimiert das Werte-Schreiben? Wodurch ist es legitimiert? Funktioniert nur, wenn die Vorstellung ist, dass Werte keiner Ausverhandlung bedürfen, was zutiefst undemokratisch ist.
D. R.
1 Das Hervorheben von stereotypen Differenzen zum Zweck der Abgrenzung und Unterscheidung ist damit nicht gemeint.