Ohne jede wissenschaftliche Grundlage, dafür aber mit umso mehr multimedialer Verve hat der Österreichische Integrationsfonds als Basis für die vielzitierten Werteschulungen Interessantes über Österreich und die ÖsterreicherInnen zutage gebracht: Es wird Hände geschüttelt, was das Zeug hält und Schi gefahren.
Heinz Müller und Maria Bauer, die Protagonisten kurzer Videoklips mit Übersetzung ins Arabische und Persische, wohnen in einem etwas heruntergekommenen Gemeindebau in der Gartenstraße 1 in Meidling. Beide sind verheiratet und haben zwei bzw. drei Kinder. Heinz Müller kommt aus Deutschland, spricht ganz das österreichische Idiom („Kann mich der Arzt einmal anschauen?“) und besucht einen Deutschkurs. Er möchte Österreich kennenlernen. Maria Bauer erzählt ihm beim nachbarschaftlichen Kaffee – denn hier begrüßen wir uns immer mit Handschlag und laden jederzeit gerne unsere Nachbarn zum Kaffeetrinken zu uns nach Hause ein, was in einem anderen Kurzfilm noch näher ausgeführt wird:
„Österreich hat 9 Bundesländer. Alle Bundesländer sind sehr schön… Im Süden ist Kärnten mit der Hauptstadt Klagenfurt, daneben ist die Steiermark mit der Hauptstadt Graz… Wien ist die Hauptstadt von Österreich. Ganz im Osten ist noch das Burgenland mit der Hauptstadt Eisenstadt… In Vorarlberg, Tirol und Salzburg kann man gut wandern und Schi fahren, es gibt viele hohe Berge. Die Stadt Salzburg ist sehr schön. Hier hat Mozart gelebt. In Kärnten gibt es viele Seen und es scheint oft die Sonne… In Oberösterreich und Niederösterreich gibt es viele Bauernhöfe, hier kann man gut Urlaub machen und Fahrrad fahren…Und Österreich ist nicht groß.“ So plant Herr Müller nun den Traumurlaub.
Dann passiert etwas Sonderbares: Herr Müller ist offenbar eine Art hilfsbereiter Beamter auf der Meldestelle von Beruf, der nicht weiß, wie er seinen Müll trennen kann; er erklärt Frau Dr. Bauer, wie sie den Meldezettel ausfüllen soll. Dr. Maria Bauer: „Hier oben steht Familienname oder Nachname…was bedeutet das?“ Der Beamte hilft prompt und ganz unbürokratisch, so wie wir in unserem kleinen schönen Land eben sind: „ In diese Zeile schreiben Sie Ihren Nachnamen hinein!“ Herr Müller hält weitere Tipps parat, leider ist das nur in unserem kleinen schönen Land so simpel: „Bei Staatsangehörigkeit tragen Sie Ihr Herkunftsland ein.“
Frau Bauer und Herr Müller sind beide umgezogen, interessanterweise beide gleichzeitig, denn sie bleiben Nachbarn und tauschen Ostereier aus. Frau Bauer klingelt, schüttelt dann natürlich Herrn Müllers Hand und wünscht frohe Ostern, schließlich verkündet sie: „Ich möchte Ihnen gern ein paar Eier geben.“ Herr Müller nimmt eines, dann noch eines für seine Frau und bekommt 8 weitere für seine Familie. Zufälligerweise hält Herr Müller auch 10 Ostereier bereit und so zählt man munter weiter bis zwanzig.
Bevor Herr Müller aber umziehen konnte, sitzt er wieder im Wohnzimmer bei seiner Nachbarin Dr. Bauer, von Beruf offenbar mal Immobilienmaklerin, mal Ordinationsgehilfin, je nachdem: „Herr Müller, Sie suchen eine Wohnung für Ihre Familie?“ „Ja, ich suche eine Wohnung, für mich, für meine Frau, für meine drei Kinder.“ „Das ist gut, die Wohnung ist groß“ erklärt Frau Dr. Bauer kryptisch. Was ist denn nun gut, dass Herr Müller eine Wohnung sucht, dass er Frau und drei Kinder hat, dass die angebotene Wohnung groß ist; die aktuelle Wohnungsknappheit mal ganz außer Acht lassend? In unserem kleinen schönen Land ist alles gut. Und es gibt die kurzsche Hausordnung, ganz wie im Filmchen.
Zwischenbilanz: In der kurzschen Welt, unserem kleinen schönen Land, schüttelt man, egal was passiert, erst einmal die Hand. Wir fahren Schi. Wir trennen Müll. Grauenhafte Unfälle passieren, weil wir im Büro auf den Sessel steigen und nicht auf die Leiter. Wir merken uns die Notrufnummern, das ist nicht schwer. Wir laden unsere Nachbarn zum Kaffee ein. Wir bringen unseren Nachbarn Ostereier vorbei. Wir sind verheiratet und haben Kinder. Wir treiben Sport, idealerweise im Verein und ehrenamtlich. Unsere Beamten sind freundlich und hilfsbereit. Schlagersängerin Claudia ist ein Jungbubenschwarm und der Grund, warum Sascha beim Elternsprechtag plötzlich so gelobt wird von seiner Deutschlehrerin, erst konnte er gar nicht gut Deutsch, sein Vater war schon ganz verzweifelt, aber dann – Claudia!! Und die Eltern wollten auch noch verbieten, Briefe an Claudia vom Postamt aus abzuschicken, denn unsere Jugendlichen kennen weder App noch Facebook, um „Schlagersängerinnen“ zu huldigen.
Wem diese Dystopie überzogen scheint, dem genügt ein Blick auf die vom ÖIF publizierte „Lernunterlage“ zu den Wertekursen (Mein Leben in Österreich, S.22)
„Bildung ist für die Österreicherinnen und Österreicher sehr wichtig. Jede Frau und jeder Mann bekommt in Österreich eine gute Bildung. Es ist egal, wie alt man ist, woher man kommt oder wie viel Geld man hat. Alle haben hier die gleichen Chancen.“
Jeder einzelne Satz (und Halbsatz) an sich ist vermutlich unwahr, sofern die tatsächliche inhaltliche Relevanz überprüft werden wollte, der Zweck ist rein propagandistisch: Wem in Österreich ist denn „Bildung sehr wichtig“ und was versteht man hierzulande überhaupt unter „Bildung“? Und jede Frau und jeder Mann? Und alle gleichberechtigt? Zumindest das ist Gegenstand äußerst kontroversieller Debatten. Und plötzlich spielen entscheidende soziale Faktoren in der kurzschen Welt überhaupt keine Rolle mehr: fingierte Chancengleichheit, fingiertes Bildungsbürgertum, fingierte Fairness. Es könnte Satire sein, ist jedoch traurige Realität all derer, die auf sogenannte „Wertekurse“ verpflichtet wurden.