Franz Kafka lässt grüßen

Vorige Woche lese ich in einem Informationsblatt, das ich auf der Homepage vom ÖIF gefunden habe, dass Asyl‐ und subsidiär Schutzberechtigte (ab dem vollendeten 15. Lebensjahr, denen der Status nach dem 31.12.2014 zuerkannt wurde) eine Integrationserklärung unterschreiben müssen. Damit verpflichten sie sich, „zum einen, die grundlegenden Werte der Rechts‐ und Gesellschaftsordnung einzuhalten und zum anderen, dass sie der gesetzlichen Pflicht nachkommen, an den angebotenen Deutsch‐ und Wertekursmaßnahmen teilzunehmen, mitzuwirken und diese abzuschließen.“
Ich rufe spontan beim ÖIF an, weil es da ein paar Dinge gibt, die ich nicht verstehe.
Ich frage die Dame, was denn die „grundlegenden Werte der Rechts‐ und Gesellschaftsordnung“ seien. Sie sagt, darüber könne sie mir keine Auskunft geben, weil für diese Formulierung das Ministerium zuständig sei. Ich solle mich ans Integrationsministerium wenden.
„Aber bei Ihnen unterschreiben die Menschen doch diese Erklärung. Wo genau passiert das denn?“, frage ich.
„Bei der Orientierungsberatung. Die Menschen kommen in eines der Integrationszentren des ÖIF. Dort werden sie beraten, welchen Sprachkurs sie besuchen sollen usw.“
„Aber wie geht das? Können das Ihre KollegInnen bei der Orientierungsberatung?“
„Nein, aber die schicken die Leute weiter zum Team Sprache, die machen die Sprachberatung.“
„Aha und – um auf meine Frage eingangs zurück zu kommen ‐ können mir Ihre KollegInnen von der Orientierungsberatung sagen, was mit den „grundlegenden Werten der Rechts‐ und Gesellschaftsordnung“ gemeint ist?“ „Naja, ich weiß nicht, ob die jetzt abheben, weil die sind gerade so mit den Beratungen beschäftigt. Ich verbinde Sie mit dem Team Werte.

Ich werde mit einer Mitarbeiterin des Team Werte verbunden.

„Guten Tag, ich habe eine Frage. Können Sie mir bitte sagen, was die „grundlegenden Werte der Rechts‐ und Gesellschaftsordnung“ sind?
„Naja, das sind z.B. das Sozialversicherungssystem, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, dass alle Menschen in Österreich die gleichen Rechte haben, die Demokratie …“
„Danke, wie lange dauern eigentlich diese Wertekurse?“
„8 Stunden“

„Und das alles kann man in 8 Stunden lernen? Das sind ja zum Teil philosophische, ethische, juristische Fragen, die sehr komplex sind“.
„Naja, es gibt Dolmetscher.“
„Wer unterrichtet überhaupt in diesen Kursen? Was muss man dazu können?“ „Da muss man eine Ausbildung machen.“

„Wo denn?“
„Bei einem externen Anbieter.“
„Und welcher ist das?“
„Bitte fragen Sie das meine Teamleiterin.“
„Wie lange dauert denn die Ausbildung?“
„Sie ist mehrwöchig. Fragen Sie bitte meine Teamleiterin.“
„Ich habe gelesen, dass es Sanktionen gibt, wenn jemand nicht „mitwirkt“ oder die Integrationsmaßnahmen nicht abschließt. Was heißt denn das und wer entscheidet das?“
„Naja, ich vermute die vom Magistrat. Aber fragen Sie meine Teamleiterin. Wenn Sie mir Ihre Telefonnummer geben …“
„Ich bin in der nächsten Zeit schwer zu erreichen, geben Sie mir bitte die Durchwahl Ihrer Teamleiterin.“
„Sie ist jetzt in einer Besprechung, aber am Montag ist sie wieder erreichbar.“

Immerhin habe ich erfahren, dass (ich hoffe, es stimmt) AsylwerberInnen und subsidiär Schutzberechtigte, die seit Dezember 2014 eine Deutschprüfung geschafft haben, diese nicht ganz wiederholen, sondern nur einen Werteteil nachmachen müssen. Woraus der genau besteht, weiß ich leider nicht.

In Zukunft sollen die Werte lt. Auskunft einer der Damen vom ÖIF sowohl in den Deutschkursen, als auch in den 8‐stündigen Kursen vermittelt werden.

Montag

Ich rufe unter der Nummer an, die mir ein paar Tage vorher gegeben worden war, weil viele meiner Fragen noch immer offen sind.
Es hebt nicht die genannte Dame, sondern wieder eine einfache Mitarbeiterin des ÖIF ab und erklärt mir, dass die Teamleiterin diese Woche auf Urlaub und deren Stellvertreterin erst wieder am Mittwoch zu erreichen sei.

Auf meine Frage, was denn genau die „grundlegenden Werte der Rechts‐ und Gesellschaftsordnung“ seien und wie man die in 8 Stunden lernen bzw. lehren könne, konnte auch sie mir keine Antwort geben.
Auf meine Frage, womit denn die über 50 (!) auf der ÖIF‐Homepage aufgelisteten MitarbeiterInnen des Teams Werte beschäftigt seien, antwortet sie: „mit administrativen Aufgaben“.

Fortsetzung folgt.

(ein_e DaZ-Lehrende_r)

Falls ihr inspiriert worden seid:

Kontakte: Team Werte ÖIF

Werte müssen diskutierbar bleiben

Werte müssen diskutierbar bleiben

Wenn wir Zwang und Pflicht für ausgewählte Gruppen von Menschen einführen, dann handeln wir gewaltvoll und ganz im Gegensatz zur Selbstinszenierung als scheinbar starke Demokratie.

Wir, DaF/DaZ-Lehrende, sollen in Zukunft, die vom Innenministerium vorgegebenen Werte unterrichten? Staatlich verordnete Werte? Wem sie verpflichtend verordnet werden sollen, ist ja nun nicht zufällig. Zäh und schwer hält sich das koloniale Bild der rückständigen Anderen und das europäische Werte-Wir zelebriert vor dem Hintergrund dieses Bildes die eigene vermeintliche Überlegenheit und Fortschrittlichkeit. Unterdrückt und in demokratischen Fragen defizitär sind immer die Anderen, während im als aufgeklärt und zivilisiert imaginierten Westen alles in bester Ordnung sei. Ein Hort der Werte eben. Neu sind diese Herrschaftsfantasien in Bezug auf die Anderen nicht, und auch vor den geplanten Werte-Kursen, gab es wertfreies Unterrichten, neutrale Kurse und Kursinhalte/Sprache und neutrales Sprechen nicht. Die Lehrbücher waren immer schon voll von solchen Fantasien.

Was aber ist Fortschritt? Neokoloniale Ausbeutungsverhältnisse? Dass der Anteil der Frauen im österreichischen Parlament und in Leitungspositionen unsäglich niedrig ist? Dass Europa’s Grenzen hochmilitarisiert sind und dass die EU-Grenzregime für den Tod von Tausenden Menschen im Mittelmeer verantwortlich sind? Europa als Hort der Menschenrechte und der Geschlechtergerechtigkeit. Wie zynisch. Die Materialien sind voll von Repräsentationen und Narrativen, die die Teilnehmer_innen dieser Kurse oftmals auf stereotype Art und Weise ansprechen. Formen der Adressierung, die generalisierend unterstellen; dass es an Höflichkeit fehlt, (die eingeübt werden soll); dass es an Rücksichtnahme fehlt; dass Frauen belästigt werden, denn ‚Wir belästigen Frauen nicht‘ (@ Werte-, und Orientierungsteil des Buches: Linie 1, Österreich, Deutsch in Alltag und Beruf, Rubrik: Miteinander leben und arbeiten, Kapitel: Leute treffen/Im Park, 2b – Menschen im Park. Welches Verhalten ist gut? Kreuzen Sie an: Smiley oder nicht, Stuttgart 2017, V: Klett, S. 130)

Die Inhalte der Kurse und Werte-Kurse sind nicht zufällig gewählt.

Die Autor_innen und Konzeptor_innen wissen scheinbar um die (Demokratie-)Defizite der Teilnehmer_innen genau Bescheid. Verallgemeinernde Unterstellungen. Generalverdächtigungen. Generalisierende Annahmen.

Werte oder besser Haltungen sind wichtig und es gibt keinen Unterricht, der wert-frei wäre. Aber um wessen Werte geht es jetzt? Die des Innenministeriums? Als staatlicher Zwang? Und noch dazu als Instrument der Fremdenpolizei? Und abgesehen davon, die Frage nach der erwünschten Effzienz und Sinnhaftigkeit von Werte-Kursen, die davon ausgehen, dass es möglich wäre, diese Werte widerspruchlos einzutrichtern? Bildung eintrichtern und somit das eigene Wissen als absolut zu setzen und die Bedingungen der Wissensproduktion dabei völlig zu ignorieren, ist absurd. Welches Bildungsverständnis steht dahinter, wenn davon ausgegangen wird, dass es möglich wäre, diese Werte mittels eines Trichters in die Köpfe der Menschen reinzudrücken. Dieser vorgestellte Trichter ignoriert, dass Menschen aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen, Geschichten, sozialer Hintergründe, Zugehörigkeiten, Standpunkte, unterschiedliches Wissen mitbringen und hervorbringen. Bezogen allein auf das methodische Vorgehen, absurd gedacht, und das Ganze dann noch auf Deutsch. Dagegen können, in einem kritischen Bildungsverständnis, Differenzen nicht ignoriert werden1 und die Idee des ‚Trichterns‘ von absolut gesetzten eindimensionalen Wahrheiten, funktioniert nicht nur nicht, sondern muss als Belehrung von oben gelten, als Indoktrination, will ich sagen.

Teilnehmer_innen sollen überrumpelt werden und die Überrumpelung selbst scheint außerhalb der Kritik zu stehen. Die Teilnehmer_innen sollen denken, was erwünscht wird. Sie sollen die erwünschten Haltungen/Meinungen einnehmen und einüben mittels des Materials, das zur Verfügung gestellt wird. Und nicht etwa sollen kontroverse Positionen beachtet werden, was, einem kritischen Bildungsverständnis nach, wichtig wäre. Die Teilnehmer_innen werden schlichtweg als nicht-wissend, über das falsche Wissen und die falschen Werte verfügend, permanent abwertend angesprochen. In dieser Konstruktion können sie scheinbar nicht für sich selbst sprechen und müssen umerzogen und belehrt werden.

Während ich schreibe, muss ich (nicht zufällig) an autoritäre pädagogische Verhältnisse denken. Und, während ich schreibe, muss ich weiter an politische Verhältnisse denken, die autokratische Politiken hervorbringen, im Rahmen derer gesellschaftliche Verhältnisse als verwaltbar und nicht als gestaltbar, nicht als verhandelbar angesehen werden. Genauso verhält es sich in Bezug auf die Werte. Scheinbar waren sie schon immer gleich da, zu verwalten, einzutrichtern, den Teilnehmer_innen, möglichst schnell, effizient, messbar gemacht – abschließende Werte-Prüfung. Keine Zeit für Kontroverse und Widerspruch, auch nicht erwünscht. Die Messbarkeit von Bildung, nicht zuletzt in Gestalt von Kompetenzen scheint ja allgemein die Illusion unserer Zeit zu sein, verbunden mit einem sehr starken Nützlichkeits-, und Kontrolldiskurs.

DaF/DaZ-Lehrende sollen die Ausführenden einer autokratischen Politik werden.

Überzogen ist das alles nicht.

Letztlich das Aufschwingen einer Ordnung, die mehr und mehr im Strom der Verrohung und Ausbeutung aufzugehen droht und die ihren einzigen Ausweg darin sieht, nicht diese Politiken selbst grundlegend in Frage zu stellen und die Werte von Wandel- und Verhandelbarkeit als fixe Vorgaben zu positionieren, inklusiver einer Pädagogik, die Widersprüche und Kontroverse bewusst evoziert und zulässt, sondern die ihren einzigen Ausweg darin sieht, der gefühlten Bedrohung mit Abschottung/der Provokation von Ängsten/Militarisierung und dem Vorschreiben von Werten und zu erreichenden messbaren Kompetenzen zu begegnen. Auf Bedrohungsszenarien, und der Eindruck besteht als würden wir auf gesellschaftliche Verhältnisse nur noch aus der Perspektive der Bedrohung blicken, wird geantwortet, nicht mit einer Perspektive der Offenheit, Verhandelbarkeit, Vielstimmigkeit, sondern mit Zwang, Pflicht, Leistung und Überrumpelung. Mitwirkungspflicht bei Sprach- und Wertekursen, mitunter. Der Versuch, das Politische/das Ermöglichende zwischen Menschen, still zu legen. Der Versuch, das Pluralistische/das Kontroverse/die unterschiedlichen Sichtweisen und Standpunkte, still zu legen.

Die Werte der Herren im Haus, fix, einzig-richtig, naturalisiert, nicht gestaltbar, nur verwaltbar, (gott-)gegeben. Affirmation der bestehenden Ordnung und der darin imaginierten Werte. Werte, die zum Schutz (vor der Bedrohung) dieser Ordnung definiert und installiert werden –

dem Zwang zur Pflichterfüllung freigegeben. Die Rede ist von Pflichten und Rechten immer. Werte, die diese Ordnung stützen sollen, scheinbar (gott-)gegeben, verordnet und die Möglichkeit dieser bestehenden Ordnung einen stärker tiefkonservativen Schliff zu verpassen. Es ist die Möglichkeit der Herrschenden diese Ordnung nochmal als gestärkt konservative Ordnung zu fassen, hervorzubringen, zu erfinden, anzupassen und einzupassen. Neu-Erfindungen, Festigungen von rückständigen Konservativismen durch die Rede der Rückbesinnung auf scheinbar ureigene alte Traditionen, zum Schutz des bedrohten Abendlandes. Werte, die scheinbar nicht hinterfragt werden sollen, unhinterfragt bleiben sollen. Wer kritische Bildungsarbeit machen will, ist wohl nicht erwünscht.

Wer legitimiert das Werte-Schreiben? Wodurch ist es legitimiert? Funktioniert nur, wenn die Vorstellung ist, dass Werte keiner Ausverhandlung bedürfen, was zutiefst undemokratisch ist.

D. R.

1 Das Hervorheben von stereotypen Differenzen zum Zweck der Abgrenzung und Unterscheidung ist damit nicht gemeint.

Einladung zum nächsten Treffen am Mo., den 10.07. um 18 Uhr

BILDUNG IST NIE WERT(E)LOS – (UM-)ERZIEHUNG IMMER WÜRDELOS!

≠> Kommt zum nächsten Treffen

ins Lerncafé (Volkertplatz 12, 1020 Wien)

am M0., den 10.07. um 18 Uhr

WAS TUN?

≠> Schreibt!

Verfasst eure Empörung, eure Wut, eure Enttäuschung, euren Widerstand in Worte. Jedes Textformat ist möglich, mit Namen oder anonym.

Schickt eure Texte an igdazdaf@riseup.net zur Veröffentlichung auf https://igdazdafbasisbildung.noblogs.org/ und auf facebook: IG Arbeitsbedingungen DAZ Basisbildung Organisierung gegen Ausbeutung


Wertevermittlung in der Bildungsarbeit: Planungs- und Koordinierungstreffen der IG Arbeitsbedingungen DaZ DaF Basisbildung

Am 16. Mai wurde das neue Integrationsgesetz beschlossen und damit auch tiefgreifende Eingriffe in unser Arbeitsfeld. Über kurz oder lang werden wir die Auswirkungen auf unsere Arbeitsverhältnisse zu spüren bekommen, die bereits jetzt die Strukturen bei den niederschwel- ligen Vereinen und großen Bildungsinstitutionen angreifen. Erste Anzeichen dafür sind die inhaltlichen Einmischungen des ÖIF in bereits laufende Projekte, durch bspw. vorgegebene Lehrwerke oder der vertraglichen Zwangs-Verp ichtung von Lehrenden zur Umsetzung der vom ÖIF festgeschriebenen Wertevermittlung, der verp ichtenden Verwendung ihrer Materialien und der verp ichtende Besuch von ÖIF-Weiterbildungen. Außerdem werden verstärkte Kontrollen der Unterrichtspraxis sowie die Androhung von Sanktionen sowohl für Teilnehmende als auch Lehrende/Prüfende unsere Autonomie weiter einschränken.

WIR SIND LEHRER_INNEN,

KEINE WERTE- ODER SPRACHPOLIZIST_INNEN! WIR WOLLEN NICHT VERLÄNGERTER ARM DIESER POLITIK SEIN!

Wir machen gerne wert(e)volle Bildung aber sicher keine entwürdigende (Um)Erziehungs- arbeit. Durch den Beschluss des Integrationsgesetzes werden aus politischem Kalkül die ErfahrungenvonLehrendeninderErwachsenenbildungentwertet.Wert(e)vollePraxiserfahrungenvon Lehrenden und kritische Stimmen aus der Wissenschaft und Forschung werden ignoriert. Wehren wir uns vielstimmig!

Kommentierte ÖIF Materialien: Warum wir das nicht nutzen wollen/können/sollen:

Eine Gruppe von Kursleiterinnen hat das Lernmaterial “Was wir mit unserer Arbeit beisteuern” für das Niveau A1 vom ÖIF kritisch begutachtet, diskutiert und mit Kommentaren versehen.
Zusammenfassend: Das Material ist methodisch und didaktisch wenig abwechslungsreich gestaltet, steckt Lernziele ab, die auf A1 teilweise kaum umsetzbar sind, bewegt sich nicht immer im Rahmen der Kann-Beschreibungen für A1 des GER, ist teilweise unnötig kompliziert und inhaltlich  nicht korrekt bzw. stimmt nicht mit den realen Erfahrungen von Kursteilnehmer_innen überein. Es vermittelt  ein Bild des österreichischen Sozialsystem das völlig frei von allen Benachteiligungen und Problemen ist. Von den Kursleiter_innen wird hier ein großes Vorwissen zu den Inhalten erwartet, um diese für die jeweiligen Teilnehmer_innen aufzuarbeiten bzw. um auf auftretenden Fragen informiert eingehen zu können. Dieses erschließt sich nicht aus dem Material, weitere Informationen zur Vertiefung lassen sich ebenso nicht finden.

Fazit: Wenig brauchbar, teilweise problematisch. Den gesamten Kommentar als PDF gibts hier: Kommentar_Was_wir_mit_unserer_Arbeit_beisteuern

Wertekurse: in den Medien seit 2015

 

Wie sich die Debatte um Wertekurse in Österreich entwickelte lässt sich in  Zeitungs-Chroniken verfolgen. Augenscheinlich wird dabei: die Verwobenheit mit staatlichem Migrationsmanagement, die immer restriktiveren und menschenverachtenderen Haltungen und Rhetoriken gegenüber Einwanderung und wandernde Menschen sowie die stetige Ignoranz gegenüber kritischer Stimmen welche den Sinn von Wertekursen und entsprechenden Prüfungen im Allgemeinen in Frage stellen.

Erstmals in einer Presseaussendung erwähnt wurde die Idee von Sebastian Kurz als Integrationsminister am 11. September 2015: „Für mich ist es auch ganz zentral, dass der Integrationsfonds Wertekurse anbieten wird. Wir müssen unsere Grundwerte von Anfang vermitteln vom Rechtsstaat bis hin zur Gleichstellung von Mann und Frau.”

https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20150911_OTS0206/bundesminister-kurz-heute-wurden-wichtige-massnahmen-fuer-integration-vereinbart

Im November 2015 folgt der 50 Punkte Plan zur Integration und bereits damals ist davon zu lesen, dass DaZ-Lehrende Wertevermittler_innen werden sollten und dass bei nicht Belegen der Zwangslernmaßnahmen Sanktionen beim Bezug von Sozialleistungen angedacht sind.

http://derstandard.at/2000026006731/Asylberechtigten-droht-Kuerzung-von-Sozialleistungen

http://derstandard.at/2000025142798/Werte-sollen-in-Sprachkursen-mitvermittelt-werden

wie sich die Debatten seit damals entwickelt haben zum Durchklicken:

APA:

https://www.ots.at/suche?query=wertekurse&from=11.03.2014&to=11.06.2017&filter=&searchchannel=politik&seite=10

DER STANDARD:

http://derstandard.at/suche/?query=wertekurse&resultPage=6&startDate=01.01.2014&endDate=11.06.2017&period=FromTo&ressortId=0&status=AktivArchiv&sortOrder=Date

DIE PRESSE:

http://diepresse.com/user/search.do?resultsPage=0&resetForm=0&searchText=wertekurse&action=search&autor=0&autorname=&zeitpunkt=1&dayFrom=1&monthFrom=1&yearFrom=2014&dayTo=11&monthTo=6&yearTo=2017&dayOnly=11&monthOnly=6&yearOnly=2017&ress=1&ress=2&ress=3&ress=4&ress=5&ress=6&ress=7&ress=8&ress=9&ress=10&ress=11&ress=13&ress=14&ress=15&ress=16

DIE WIENER ZEITUNG:

http://www.wienerzeitung.at/suche/?detail=1&searchressort=&such=wertekurse&search_import_src=&date_min=31.05.2014&date_max=11.06.2017

….ich bin eben nicht Beamte im Innenministerium geworden, sondern Deutschlehrerin.

Jetzt soll ich also, vom Gesetzgeber angeordnet, „grundlegende Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung“ in Österreich in meinen Deutschkursen vermitteln, und diese Werte werden dann im Rahmen der „Integrationsprüfung“, einer kombinierten Sprach- und Werteprüfung abgeprüft. Die Integrationsprüfung entscheidet über etwas so Existentielles wie das Aufenthaltsrecht der PrüfungskandidatInnen in Österreich.

Ich bin es inzwischen seit 9 Jahren gewohnt, die Kursteilnehmerinnen in meinen Frauengruppen dabei zu unterstützen, Sprachprüfungen auf Niveau A2 bzw. B1 abzulegen, damit sie die Integrationsvereinbarung erfüllen können. Wie problematisch es ist, den rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich mit einem Deutschtest zu verknüpfen, erlebe ich jedes Semester wieder, wenn ich die Prüfungsvorbereitung mache, und die Frauen von Tag zu Tag nervöser werden, weil sie so unter Druck stehen. Ich kann ihnen den Druck nicht nehmen, aber ich kann sie sprachlich unterstützen und sie mit dem systematischen Aufbau der Prüfung vertraut machen.

Jetzt aber kommen in der Prüfung und in den Deutschkursen die Werte dazu, und das ist ein enormer Unterschied. Denn was bedeutet eigentlich der vielstrapazierte Begriff „Werte“? Bedeutet er im Kontext des Gesetzestexts „Regeln“, bedeutet er „Bräuche“, bedeutet er „Überzeugungen“ oder bedeutet er sogar so etwas wie ethisch-moralische Haltungen? Und je nachdem, wie das Gesetz ihn vorschreibt und wie der ÖIF ihn in seinen Wertematerialien abhandelt, wie gehe ich mit diesem Inhalt in meinem Deutschkurs um?

Die Frauen in meinen Deutschkursen kommen aus den unterschiedlichsten Ländern und haben sich aus vielfältigen Gründen für ein Leben in Österreich entschieden. Das heißt, einige von ihnen haben sich gar nicht bewusst für ein Leben in Österreich entschieden – es hat sie zufällig auf ihrer Flucht hierher verschlagen. Und nun – und das haben sie mit den anderen Frauen in meinen Kursen, die geplant hierhergekommen sind, gemeinsam – wollen sie das Beste aus ihrem neuen Leben hier machen. Und ich darf und soll und hoffentlich kann ihnen dabei helfen, indem ich sie beim Deutschlernen unterstütze.

Neben der Vermittlung von sprachlichen Strukturen, also dem hand- und mundfesten Werkzeug, das ich mitbringe und das auch über mehr oder weniger konkrete Ergebnisse überprüfbar ist, erlebe ich meine Arbeit vor allem als Austausch und Auseinandersetzung mit meinen Kursteilnehmerinnen. In dieser Auseinandersetzung treffen wir als Menschen aufeinander, die so unterschiedlich und sich doch auch so ähnlich sind, wie Menschen halt sind. Mit dem einen großen Unterschied allerdings, dass ich in Österreich geboren und aufgewachsen bin, und auch meine Eltern und meine Großeltern hier geboren und aufgewachsen sind. Und dieser Unterschied bedeutet, dass ich mich gesellschaftlich in einer einfacheren, und ja, privilegierten Position befinde. Der Unterschied bedeutet aber nicht, dass ich weiß, wie man hier richtig lebt, während die Kursteilnehmerinnen es nicht wissen.

Meine Position muss ich auch immer mitbedenken, wenn wir uns als Lerngruppe offen und vertrauensvoll untereinander austauschen. Denn meine privilegierte Position und einfach auch die Tatsache, dass ich die Lehrerin bin und die Frauen Lernende, bedeutet Macht. Und mit Macht soll man verantwortungsvoll umgehen. Wenn es um Grammatik und Wortschatz geht, dann bin ich aufgrund meiner langjährigen Ausbildung und Erfahrung die Expertin und kann und will das den Deutschlernenden vermitteln. Das steht (hoffentlich!) in meiner Macht.

Wenn es aber um etwas so Verschwommenes und schwer Definierbares wie „Werte“ geht, dann wird es problematisch. Denn natürlich geht es bei einem offenen Austausch auch immer um „Werte“, insbesondere, wenn man „Werte“ als Haltungen oder Überzeugungen versteht. Jede/r von uns denkt, sagt, zeigt, agiert, lebt seine/ihre Werte die ganze Zeit, bewusst oder meistens unbewusst. Und dann konfrontieren wir andere mit unseren Werten, und werden gleichzeitig mit ihren Werten konfrontiert. Das gilt natürlich nicht nur für den Kontext Deutschkurs, sondern für jede soziale Interaktion.

Das erlebe ich allein schon täglich vor der Schule meines Kindes, wenn ich mit anderen Eltern spreche, ganz egal, welchen „Hintergrund“ sie haben. Wir haben unterschiedliche Werte, sowohl Überzeugungen, als auch Regeln und Bräuche, als auch moralische Konzepte, was unsere Kinder angeht, was wir ihnen mitgeben wollen, was wir wichtig oder nicht so wichtig finden. Sollen die Kinder im Bett der Eltern schlafen oder nicht? Ist es gut, wenn Kinder schon mit einem Jahr außer Haus betreut werden? Etc. Und diese unterschiedlichen Wertvorstellungen tauschen wir miteinander aus, manchmal sind wir uns einig, manchmal überhaupt nicht. Schwierig wird es allerdings, wenn ich meine Werte, die ich zu diesem Zeitpunkt meines Lebens aufgrund meiner Lebenssituation und meiner Lebenserfahrungen habe, anderen als die richtigen vermitteln möchte. Denn Werte, wenn man sie als persönliche Überzeugungen und ethisch-moralische Konzepte versteht, sind individuell und wandelbar.

Ich kann sie nicht vermitteln, und ich kann sie schon gar nicht abprüfen; ich kann mich nur mit anderen über sie austauschen und sie auch verhandeln. Ich verstehe sie auch nicht als etwas Statisches, sie verändern sich ein Leben lang, durch die Veränderungen in meinem Leben und durch die Erfahrungen, die ich im sozialen Zusammenleben mit anderen Menschen mache. So habe ich jetzt definitiv andere Überzeugungen und auch teilweise andere ethische Vorstellungen als vor 20 Jahren, und ich würde sagen, das liegt zu einem großen Teil auch an meinem Beruf und den vielen unterschiedlichen Lebenserfahrungen und Lebensgestaltungen, die ich durch meinen Beruf gehört, gesehen und erlebt habe.

Sollte es bei den Werten um Bräuche gehen, dann kann ich von österreichischen Bräuchen, sofern sie mir bekannt sind, erzählen (viele davon kenne ich nur vom Hörensagen oder Lesen, sie sind aber nicht Bräuche, die ich lebe); ich kann sie aber auch nicht vermitteln, denn dafür muss man entweder von klein auf damit aufgewachsen sein oder aber man entscheidet sich dafür, einen neuen Brauch ins jetzige Leben zu integrieren, und das ist immer eine sehr persönliche, individuelle Entscheidung, so etwas kann nicht politisch verordnet werden und auch nicht gelehrt werden.

Wenn es aber bei den „Werten“ um Regeln und Gesetze geht, dann muss es in einer demokratischen Gesellschaft natürlich Spielregeln für alle geben, an die sich auch alle halten müssen, damit nicht Chaos oder Gewalt ausbricht oder permanentes Unrecht herrscht. Und ich bin sehr froh, in einem Rechtsstaat mit Gewaltenteilung zu leben – das ist die Basis in unserer demokratischen Gesellschaft, die für mich nicht verhandelbar ist. Und die zentralen demokratischen Werte sind Freiheit, Gleichheit und Solidarität.

Um Regeln, die auf diesen Werten beruhen, zu lernen, braucht es politische Bildung für uns alle, in der Schule und auch in der Erwachsenenbildung. Ich bin gern bereit, eine gute Lehrerfortbildung in politischer Bildung zu machen. Und ich bin gern bereit, über zentrale demokratische Grundwerte mit den Teilnehmerinnen in meinen Kursen zu diskutieren. Ich finde es aber höchst problematisch, wenn es nicht um Diskussion und Austausch, sondern um Vermittlung der „richtigen“ Regeln geht, und das vor dem Hintergrund einer Prüfung, die über den Aufenthaltstitel in Österreich entscheidet. Denn ich bin eben nicht Beamte im Innenministerium geworden, sondern Deutschlehrerin.

Kathrin B.

Wertekurse: die gesetzlichen Grundlagen

Von der Seite des Parlaments:

Beschluss des Nationalrates vom 16. Mai 2017 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein Integrationsgesetz und ein Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz erlassen sowie das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, das Asylgesetz 2005, das Fremdenpolizeigesetz 2005, das Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 und die Straßenverkehrsordnung 1960 geändert werden.

Gesetzestext pdf

Alle eingesendeten Stellungnahmen finden sich hier zum Nachlesen.

Das parlamentarische Verfahren lässt sich hier nachvollziehen.

 

Einladung zum nächsten Treffen am Mi., den 30.6. um 18 Uhr

BILDUNG IST NIE WERT(E)LOS – (UM-)ERZIEHUNG IMMER WÜRDELOS!

≠> Kommt zum nächsten Treffen

ins Lerncafé (Volkertplatz 12, 1020 Wien)

am Mi., den 30.6. um 18 Uhr

WAS TUN?

≠> Schreibt!

Verfasst eure Empörung, eure Wut, eure Enttäuschung, euren Widerstand in Worte. Jedes Textformat ist möglich, mit Namen oder anonym.

Schickt eure Texte an igdazdaf@riseup.net zur Veröffentlichung auf https://igdazdafbasisbildung.noblogs.org/ und auf facebook: IG Arbeitsbedingungen DAZ Basisbildung Organisierung gegen Ausbeutung


Wertevermittlung in der Bildungsarbeit: Planungs- und Koordinierungstreffen der IG Arbeitsbedingungen DaZ DaF Basisbildung

Am 16. Mai wurde das neue Integrationsgesetz beschlossen und damit auch tiefgreifende Eingriffe in unser Arbeitsfeld. Über kurz oder lang werden wir die Auswirkungen auf unsere Arbeitsverhältnisse zu spüren bekommen, die bereits jetzt die Strukturen bei den niederschwel- ligen Vereinen und großen Bildungsinstitutionen angreifen. Erste Anzeichen dafür sind die inhaltlichen Einmischungen des ÖIF in bereits laufende Projekte, durch bspw. vorgegebene Lehrwerke oder der vertraglichen Zwangs-Verp ichtung von Lehrenden zur Umsetzung der vom ÖIF festgeschriebenen Wertevermittlung, der verp ichtenden Verwendung ihrer Materialien und der verp ichtende Besuch von ÖIF-Weiterbildungen. Außerdem werden verstärkte Kontrollen der Unterrichtspraxis sowie die Androhung von Sanktionen sowohl für Teilnehmende als auch Lehrende/Prüfende unsere Autonomie weiter einschränken.

WIR SIND LEHRER_INNEN,

KEINE WERTE- ODER SPRACHPOLIZIST_INNEN! WIR WOLLEN NICHT VERLÄNGERTER ARM DIESER POLITIK SEIN!

Wir machen gerne wert(e)volle Bildung aber sicher keine entwürdigende (Um)Erziehungs- arbeit. Durch den Beschluss des Integrationsgesetzes werden aus politischem Kalkül die ErfahrungenvonLehrendeninderErwachsenenbildungentwertet.Wert(e)vollePraxiserfahrungenvon Lehrenden und kritische Stimmen aus der Wissenschaft und Forschung werden ignoriert. Wehren wir uns vielstimmig!